Es folgen ein paar Bemerkungen zu den den Begriffen Klimaschutz, klimaneutral und Klimagerechtigkeit, grüne Irrwege, schwarze Propaganda und ein ganzheitliches Konzept – vielleicht für die SPD (?).
Auch wenn gerade die Äußerungen von AKK zur Meinungsfreiheit wieder die Schlagzeilen füllen, das große inhaltliche Thema der Europawahl war „Klimaschutz“. Die Europawahl hat gezeigt, dass sich die Klimabewegung auch an den Wahlurnen durchsetzt.
Dort gibt es nicht nur verschiedenen politische Konzepte, sondern auch schwerwiegende begriffliche Unschärfen. Klimaschutz, klimaneutral und Klimagerechtigkeit – Aussagen führender Politiker der Parteien nach der Wahl machen deutlich: es bedarf einer Definition der Begriffe.
Die Begriffe stehen für unterschiedliche Narrative. Sie bedeuten Unterschiedliches je nach dem, wen man fragt.
So gesehen z. B. bei Anne Will, wo Armin Laschet, Annalena Baerbock & Sigmar Gabriel über die Implikationen des Wahlergebnisses stritten. Dabei tauchten die Begriffe Klimaschutz und klimaneutral auf. Klimagerechtigkeit hingegen war kein gebrauchter Begriff.
Aber was bedeuten die Begriffe eigentlich?
Klimaschutz

Das Interesse für Klimaschutz ist eng mit #fridaysforfuture verbunden. Am weltweiten Klimastreiktag, dem 15. März, und um die Europawahl stieg das Interesse an dem Suchbegriff sprunghaft. Der Begriff aber in der Politik wird mit verschiedenen Bedeutungen verwendet.
Mehrere Bedeutungen, mehrere Narrative
So gibt es das Narrativ vom Klimaschutz als Gegenpol zu Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Wachstum, wie es von Vertretern der CDU oder auch der SPD immer wieder vertreten wird. Danach ist Klimaschutz etwas, das den Bedürfnissen nach Wachstum entgegenstehe und irgendwie mit den aktuellen vereinbart werden muss.
“Wir müssen besser darin werden den jungen Menschen zu erklären warum das mit dem Klimaschutz nicht so schnell geht.”@ArminLaschet schafft es in einem Atemzug etwaige Klimaschutzkompetenz als auch Augenhöhe mit jungen Wähler*innen aus dem Fenster zu werfen. Stark. #AnneWill
— Luisa Neubauer (@Luisamneubauer) May 26, 2019
Dieser Narrativ, den auch Armin Laschet im Polit-Talk Anne Will vertritt, ist geleitet von Interessen klassischer Industrien und ihrer Lobbies. Nach dieser Erzählung, können Maßnahmen immer nur im Einklang mit der Wirtschaftlichkeit bestehender Großindustrien geschehen, um Arbeit und Gewinne zu garantieren. Das steht im Konflikt mit den eigentlich notwendigen Reduzierungen, die aus dem Paris-Abkommen resultieren.

Im Koalitionsvertrag haben wir uns verpflichtet, die Lücke zum 40 Prozent-Ziel so schnell wie möglich zu schließen und bis 2030 das Ziel von 55 Prozent zuverlässig zu erreichen
Wie wir die Sache sehen -Reaktion der CDU auf Rezo
So schnell wie (wirtschaftlich) möglich
Dieses Narrativ der wirtschaftlichen Zwänge, die einen drastischeren Klimaschutz unmöglich machen, gibt es in der Politik von FDP, CDU, SPD, Linken bis Grünen in unterschiedlichen Ausprägungen. Sie gibt wirtschaftlichen Abhängigkeiten Priorität, denn rein theoretisch betrachtet könnte der CO2-Ausstoß umgehend durch entsprechende Gesetzgebung auf Paris-Ziele korrigiert werden. Man müsste bloß die Dringlichkeit und Bedrohung der Klimakrise erkennen und einen entsprechenden Notfallplan erarbeiten.

Mit dem derzeitigen Kurs sind 3, 4 oder noch mehr Grad Erderwärmung wahrscheinlich. Die Folgen davon sind katastrophal. Wir haben schon zu lange tatenlos zugesehen. Es braucht einen notfallplan um die weitere Erwärmung des planeten zu verhindern.
Wer so einen Notfallplan im Angesicht der Klimakrise nicht erarbeitet, setzt andere Prioritäten. Dabei sind es gerade die Ungewissheiten, die nicht zu Klima leugnerischer Argumentation führen sollten, sondern zu noch entschiedener Dringlichkeit. Es wäre nur rational, das Worst Case Szenario, dass gegebenenfalls bereits fatale Kipppunkte in diesem Moment überschritten werden oder bereits überschritten sind, anzunehmen. Dann müsste man schnellstmöglich mit allen möglichen Mitteln und Maßnahmen für eine maximale Reduzierung sorgen.
Dagegen steht das Narrativ welches eine radikale Orientierung an den Bedürfnissen des Klimas und der Klimagerechtigkeit verlangt. Da der Fortbestand der etablierten Industrien, weiteren CO2-Ausstoß voraussetzt, ist der Begriff der Klimaneutralität in letzter Zeit immer interessanter geworden.

Klimaneutralität
Dieses Narrativ vermittelt den Trugschluss, dass sich jeder noch so große CO2-Ausstoß 1:1 neutralisieren lasse. So rechtfertigt, die Einführung der Klimaneutralität das Freikaufen von Klimaschuld, was wissenschaftlich und soziologisch fragwürdig ist.
Ebenso ist eine biotische Kompensation durch sogenannte Senkenprojekte möglich: Es wird irgendwo auf der Erde eine zusätzliche, dauerhafte Kohlenstoffsenke finanziert, zum Beispiel eine zusätzliche Aufforstung, deren Fläche so zu bemessen ist, dass die neu wachsenden Bäume nach z. B. zehn Jahren eine CO2-Menge der Luft entzogen haben werden, die der zu kompensierenden CO2-Emissionsmenge entspricht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Klimaneutralit%C3%A4t
Demnach wird „irgendwo auf der Erde“ etwas finanziert, dass „nach zehn Jahren“ frühestens einen Effekt auf das Klima haben kann. Man kann erahnen, warum dieses Narrativ besonders im Interesse großer internationaler Konzerne ist.
Es wird eine spannende Frage bei der Ausgestaltung des Klimaschutzes in den kommenden Jahrzehnten sein, wie bspw. die Grünen oder die SPD dieses Thema behandeln werden.
Die wirkliche Frage ist: sind @Die_Gruenen in der Lage, trotz #Kretsch der #Autoindustrie weh zu tun, und sind @dieLinke und die @IGMetall in der Lage, Politik für die #Klimagerechtigkeit und gegen 'gute' #Industrie-Arbeitsplätze hierzulande zu machen? https://t.co/uMy4HCe4SL
— tadzio_mueller (@MuellerTadzio) May 29, 2019
Klimagerechtigkeit
Die Klimagerechtigkeit heißt, dass der verursachte Schaden eines Handelns in Bezug auf Klimaauswirkungen im Vordergrund steht. Das heißt ein Verzicht auf alle schädlichen Verhaltensweisen und eine Entschädigung an bereits vom Klimawandel Betroffene.
Man kann Klimagerechtigkeit als konsequenten ganzheitlichen Klimaschutz verstehen, der sich im Einklang mit gängigen religiösen aber auch humanistischen Vorstellung von Moral sieht. Dass Klimagerechtigkeit immer wieder zu Naivität oder Utopismus erklärt wird, hängt damit zusammen, dass unser heutiges Leben so vielen CO2 intensiven vorgelagerten Prozessen untergeordnet ist. Um sie zu erreichen, ist wohl ein Hinterfragen des aktuellen Wirtschaftssystems unumgänglich. Klimagerechtigkeit basiert auf dem Prinzip der weltweiten Solidarität.
Somit steht Klimagerechtigkeit auch Ideen, wie der Green Economy, also einem Wachstums basierten Markt klimaneutraler Endprodukte zweifeln entgegen.
Denn es ist fraglich, wie E-Autos und andere Zugpferde einer klimaneutralen Welt ohne die global-sozialen Auswirkung in der Produktion und und Entsorgung begegnet werden kann. Die heute zugelassenen 40 Millionen PKW durch ihre E-Äquivalente zu ersetzen, ohne dass das auf Ungleichheit basierende System zwischen dem globalen Norden und den Ländern des Südens noch verschärft würde, ist schwer vorstellbar.
So könnte eine differenzierte, ganzheitliche Politik für Klimagerechtigkeit statt Klimaschutz oder Klimaneutralität, soziale Gesichtspunkte sozialdemokratischen Ursprungs ansprechen. Ich sag’s ja nur, falls es da draußen eine Partei gibt, die sich eventuell neu aufstellen möchte.
Achtung, Paradigmenwechsel!
Every society will give itself rules that reproduce that society. A racist society will give itself racist rules. A sexist society will give itself sexiest rules. A society that’s ecologically destructive and therefore globally unjust will give itself rules that justify ecological destruction and global injustice. That’s extremism. That’s insanity.
Tadzio Müller – https://www.youtube.com/watch?v=j_X_JXrZVO8&t=719s
Diesen Paradigmen-Wechsel auf Basis globaler Zusammengehörigkeit zu vermitteln und zu erkämpfen, wird kritisch für ein rechtzeitiges Umlenken in der Klimakrise. Fridays For Future hat Klimagerechtigkeit auf die Straße getragen, jetzt müssen Parteien konzeptionell folgen.
Möchtest du etwas hinzufügen oder richtig stellen? Dann schreib mir an andreas@schoenerleben.jetzt oder über das Formular.